trichter

1990,-

1990,-
ein Projekt gemeinsam mit Peter Krauskopf
Alte Handelsbörse

Alte Handelsbörse

ehemaliges agra-Messegelände

ehemaliges agra-Messegelände

ehemaliger Sitz der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit, "Runde Ecke"

Ehemaliges Interhotel Merkur

ehemaliges Interhotel Merkur

Völkerschlachtdenkmal

Sachsenplatz

Mägdebrunnen

Kreuzung Adler

ehemaliges Konsument-Warenhaus, "Blechbüchse"

Kreuzung Bayerischer Bahnhof

ehemalige Hauptpost

ehemaliges Zentralstadion

ehemaliges Museum der Bildenden Künste

Auerbachs Keller

Alte Messe

Thomaskirche

Gewandhaus

Gewandhaus

ehemaliges Kaffeehaus Riquet & Co.

Gohliser Schlößchen

Pferderennbahn

Altes Rathaus

ehemaliges Café Corso

ehemaliges Universitätshochhaus, "Uni-Riese"

Oper

Hauptbahnhof

Hauptbahnhof

Neues Rathaus

Schillerhaus

Alles war verkommen: das Auto, Bernd, die Sehenswürdigkeiten und in diese graue Verkommenheit schmierten wir die Gier dieser fremden Aufkäufer rein, die sich unsere Stadt aneigneten. Foto. Foto.

An überzähligen Gütern reich, an Gelegenheiten nicht knapp und noch ohne Not: das Jahr 1990 begann als große historische Zwischenzeit. Das Alte war fort, das Neue nicht da und ein Kontinuum an Möglichkeiten bildete den Alltag. In dieser offenen Zeit nahmen wir uns die Freiheit, den sich ankündigenden Ausverkauf ihrer Stadt mit einer Performance vorwegzunehmen: Bernd aus Stuttgart hat seine eigenen Leichen im Kofferraum und kommt um zu nehmen was er kriegen kann.
Ungewollt ergab sich dabei auch eine persönliche Bestandsaufnahme der Heimatstadt nach dem Mauerfall.

Das Projekt ist damals in Zusammenarbeit mit Peter Krauskopf entstanden.
Die Darstellung des Projektes auf dieser website (Text und Sammlung) verantwortet Peter Bux.

I

Man sagt, das Schwellenjahr 1990 in Ostdeutschland dauerte von November 1989 bis Oktober 1990, von der Grenzöffnung bis zur Wiedervereinigung. Das stimmt so nicht. Sofort nach der Öffnung begann der Ausverkauf des Landes, und genau genommen war schon im März die Schwelle überschritten. Denn nach der ersten und zugleich letzten demokratischen Volkskammerwahl (mit Sieg der von der CDU geführten Allianz für Deutschland) wurde die Treuhandanstalt gegründet. Sie verfügte über die Restwerte der Industriebetriebe, von denen es hieß, sie seien zu 80% nicht überlebensfähig. Lagen sowohl positive wie negative Gutachten zur künftigen Entwicklung vor, wurde meist das negative umgesetzt, das heißt der Betrieb stillgelegt nach schneller Risikoübertragung durch einen symbolischen Verkauf. Wir konnten da im Allgemeinen nicht mithalten, denn wir hatten kein Kapital bilden können. Die schrittweise Beendigung der Arbeitsverhältnisse brach den Alltag auf. Die einen hatten Schwellenangst, die anderen sprangen hin und her. Nach damaliger Schätzung verließen ca. 1 Mio. Menschen 1989/90 Ostdeutschland, rund 6% der Bevölkerung. Es drohte der Exodus. Im Juli 1990 wurde das frühe Ende der kurzen Freiheit offen sichtbar, denn mit der Währungsunion hatten alle Leute die langersehnten Devisen in der Hand und begannen, sich nun anders zu verhalten.

II

Die Arbeiter waren also mit Überleben beschäftigt, die Intellektuellen mit dem dritten Weg und nur den Habenichtsen schien die Sonne aus dem Arsch, da wir uns alle Freiheit nahmen. Schwellenjahr 1990 heißt, die DDR-Exekutive war fort und der Anschluss an die BRD noch nicht vollzogen. Wir fühlten uns gewissermaßen staatenlos in einer gesellschaftlichen Zwischenzeit. In meinem Fall bekamen die Tage diese Form: Ich besetzte eine aufgelassene Wohnung in der Ernestistraße in Leipzig-Connewitz, schraubte zwei Ski gegen den offenen Fensterflügel und malte Bilder. Mit mir ins Haus zog ein Diebespärchen, Jürgen und Marion, viele Raufereien treibend. Sie stahlen einmal sogar Torten. Der Einzige, der einen Mietvertrag besaß, war der frühpensionierte Trinker Bernd, der aber bald kein Wasser mehr hatte, denn Jürgen riss die Bleileitungen von der Wand und verkaufte sie als Schrott, nachdem „Klemmi“ mit einem missratenen Erbspüree Bernds Abflussrohr verstopft hatte. („Haste kein´ Abfluss, brauchste auch kein Wasser.“)

III

Krauskopf und ich fuhren spätnachts in meinem weißen Ford Taunus 1,6 Limousine in die Parkanlage des Völkerschlachtdenkmals und dort die flachen Treppenstufen hinunter zum Stichlingsteich streng verboten. Die fehlende uniforme Antwort auf diesen Ordnungsverstoß ließ mich spüren, wie sehr mein inneres Format noch vom Abdruck der ehemals nahtlos ansetzenden Staatsmacht abhing. Die DDR war 23 Jahre mein Habitat gewesen. Fasziniert fuhr ich in die dunkle Leere. Wenige Lichter funkten ferne und zogen mich raus in diese barbarische Fülle der plötzlichen Abwesenheit. Nur musste man dafür aus der Haut fahren und ich wusste nicht wie. Am Tage hatte ich vor einer orthopädischen Werkstatt einen Container mit Prothesen entdeckt. Beine, Arme, und Ersatz jeder Art waren als Krankenkassen-Eigentum über den Tod hinaus bewahrt worden. Für alte Krücken und Stützen war nun kein Platz mehr. Daher hingen sieben Holzbeine aus meinem Kofferraum. Sieben Beine, ein Westauto, zwei staatenlose junge Freunde, ein dunkles Schlachtdenkmal: Über allem schien der leicht umwölkte Mond, wir tranken Bier und kreisten langsam ums Bassin mit seiner großen spiegelglatten Wasserfläche, ein sinnloses Rätsel nur knietief. Die Idee dieses Projektes schloss sich um uns und plötzlich war da auch die nötige Tatkraft.

Auf der städtischen Leitbeschilderung gab es Piktogramme von Sehenswürdigkeiten der Stadt. Wir führten das System fort, erweiterten es um andere Orte und schablonierten uns entsprechende Schilder. Genau genommen war diese lustige Bestandsaufnahme der nächsten Tage eine sehr ernste Sache. Dann machten wir einen Termin mit Bernd, der in seinem besten Anzug erschien. In meinem Ford mit Stuttgarter Kennzeichen fuhren wir die Sehenswürdigkeiten frontal an. Bernd musste raus und das jeweilige Schild halten. Foto. Alles war verkommen: das Westauto, Bernd, unsere Sehenswürdigkeiten und in diese graue Verkommenheit schmierten wir die Gier der fremden Aufkäufer rein, die sich unsere Stadt aneigneten. Foto. Foto.

IV
Die Wiedervereinigung war unvermeidbar. Eine bodenständige Entwicklung der Ostländer im neu gesetzten Rahmen aber wurde durch den schnellen Anschluss verhindert. Die Erfahrungen sind eingesargt, die Erinnerungen überformt. Diese innere Zuordnung zur DDR hat nichts mit Nostalgie zu tun. Die Bewertung der institutionellen Seiten der DDR als Unrechtsstaat (um nicht zu sagen Verbrecherstaat bei 733 gezählten Grenztoten) bleibt bestehen. Doch noch heute markiert sich in zahlreichen kartografischen Darstellungen statistischer Daten der Umriss der DDR. Er scheint sich sogar heute wieder deutlicher abzubilden als noch vor einigen Jahren. Das ist ein offensichtlicher Beleg unter anderem dafür, dass die deutsche Vereinigung für viele Menschen nicht gelungen ist.

Sammlung

Bux und Krauskopf

1990

gegenseitige Portraits

Salut der Spulerinnen

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